Am 30. März 2022 ist unser hochverehrter Chef Martin Siebert nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben. Da wollen wir uns in einem Nachruf Gedanken machen, was Martin Siebert für uns und die Mittelpunktschule bedeutet hat. Als er etwa 1968 von der Grundschule Röhrda nach Reichensachsen kam, fingen für die jungen Lehrer gute Zeiten an. Er beteiligte uns an der Stundenplangestaltung. Es wurden Klassenfahrten auch in der Grundschule möglich. Kurz: Wir wurden durch Martin Siebert gefördert und auch gefordert und nicht nur als junge Wilde argwöhnisch beäugt.
Parallel dazu liefen auf der politischen Ebene Schritte zu einem Zusammenschluss kleinerer, ein- oder zweiklassiger dörflicher Volksschulen zu größeren Mittelpunktschulen. Auch dabei war Martin Siebert beteiligt und es entstand in Reichensachsen ein Schulverband, der von Lüderbach im hinteren Ringgau bis Wellingerode im Meißnervorland reichte. Merkwürdigerweise gingen die Oetmannshäuser Kinder nicht nach Reichensachsen in die Schule sondern nach Waldkappel. Das soll angeblich an irgendwelchen Animositäten zwischen den Bürgermeistern gelegen haben. In Reichensachsen entstanden zügig nacheinander zwei Klassengebäude, ein Fachklassentrakt mit Werkräumen, Küche, Nadelarbeitsraum und Physik- sowie Biologie-/Chemieraum. Als Abschluss wurde eine große Turnhalle gebaut, die auch von den Vereinen genutzt werden konnte. Zu Spitzenzeiten hatte die Schule über 1140 Schülerinnen und Schüler und etwa 40 Lehrkräfte, damals meisten noch in Vollzeit. Martin Siebert leitete souverän die Mittelpunktschule Wehretal, die eine der großen Schulen im Kreis Eschwege war. Er hatte stets ein offenes Ohr für die Kollegen und unterstützte sie in jeglicher Hinsicht, nicht nur in schulischen, sondern auch bis in den privaten Bereich. Einzelheiten könnten wir angeben, wollen es aber nicht tun. Wir hatten alle pädagogischen Freiheiten, weil er davon überzeugt war, das jeder Lehrer, jede Lehrerin das Beste gab. Er hat auch nie in Gegenwart anderer Personen einen Kollegen oder eine Kollegin zurechtgewiesen oder kritisiert.
Martin Siebert hat während seiner ganzen Zeit immer das praktiziert, was heute neudeutsch „PR-Arbeit“ genannt wird. Er bereiste alle Dörfer im Schuleinzugsbereich mit Diaschauen und benutzte dabei die damals moderne Überblendtechnik mit zwei Diaprojektoren. Die Bilder hatte er im Unterricht aufgenommen und natürlich waren sie mit gesprochenen Kommentaren versehen und mit Musik untermalt. Die Fotos publizierte er in schwarz-weiß auch in Kalendern, die viele Jahre immer wieder erschienen und als Dankeschön an Eltern und Betriebe verteilt wurden, die die Schule durch bereitgestellte Praktikumsplätze unterstützten. Wie oft hat er uns Lehrern vor einem Ausflug oder einer Klassenfahrt eine kleine, kompakte Kamera in die Hand gedrückt mit der Aufforderung, doch Fotos zu machen: „Du brauchst nur draufzudrücken. Die Kamera macht den Rest von ganz alleine!“ Heute undenkbar wegen des Rechts am eigenen Bild. Schade eigentlich, denn so gibt es keine persönlichen Schulerinnerungen mehr.
Ein weiteres Mittel, mit der schulischen Umwelt und vor allem mit den Eltern in Kontakt zu bleiben, war der „Elternbrief aus Wehretal“, der ziemlich regelmäßig erschien und über das Schulleben und zu pädagogischen Themen in Bild und Wort berichtete. Da konnte er einem schon mal auf den Nerv gehen mit seiner Aufforderung „Schreib doch mal etwas zu …“. Demselben Zweck dienten die etwa alle zwei Jahre stattfindenden Schulfeste. Alle Klassen und auch die Eltern strengten sich gewaltig an und es gelangen sehenswerte Aufführungen. Die Resonanz bei den Gästen und Besuchern waren stets groß. Schulhof, Klassenräume,Turnhalle und Aula waren immer sehr gut besucht.
Von Martin Siebert stammte auch die Idee, Grundschulfeiern zu organisieren. Daraus entstanden drei Veranstaltungen in der damaligen Turnhalle, heute Saal im Bürgerhaus, zu den vier Jahreszeiten, bei denen alle Klassen und der Schulchor sowie Lehrerinnen und Lehrer mit Texten, Liedern und Gedichten beteiligt waren. Der Saal platzte aus allen Nähten, z.T. haben wir die Abende auch wiederholen müssen und die Eltern honorierten unser Engagement mit reichlichen Spenden.
Alle Feste und jede andere Veranstaltung wurde mit Plakaten bekanntgemacht und bekannt gemacht. Die von Martin Siebert im Siebdruckverfahren hergestellten Plakate waren echte Kunstwerke, die sich sehen lassen konnten. Im Siebdruckverfahren hat er auch Jahreskalender im Format DIN A2 hergestellt, die gegen einen Unkostenbeitrag abgegeben wurden. Sie fanden reißenden Absatz. In diesem Verfahren hat er auch unzählige Kacheln bedruckt mit Motiven aus allen Schulorten und anderen bekannten Plätzen im Kreis. Sie gingen vielfach als Dankeschön an Praktikumsbetriebe und befreundete Personen, waren dort gern gesehen und wurden ausgestellt.
Nicht vergessen werden darf die exzellente Ausstattung der Schule mit Medien, womit man heute vor allem Computer meint. Damals waren es Filmapparate, Diaprojektoren, kleine Radiogeräte, um Schulfunk zu hören, Kassettenrekorder, Tonbandgeräte und passende Mikrophone. Das Vorhandensein der großen Anzahl von Geräten animierte sogar jugendliche Diebe, in die Schule einzubrechen und sich zu bedienen. Daraufhin wurde auf allen Geräten mit Schablonenschrift in dicker Ölfarbe der Eigentumsvermerk „Mittelpunktschule Reichensachsen“ angebracht und waren damit unverkäuflich.
Martin Siebert war der Erste, der an einem Schultag die Schule betrat, und er verließ sie oft erst spät am Nachmittag. Mit all seinen Ecken und Kanten, die er auch besaß, war er uns ein wahrer „Chef“.
Günther Panzer, Astrid Rumpf, Helga Saur